Bibtex

@InCollection{,
  Year    = "2019", 
  Title    = "Soziale Netzwerkanalyse", 
  Author    = "Baumöl, Prof. Dr. Ulrike", 
  Booktitle    = "Gronau, Norbert ; Becker, Jörg ; Kliewer, Natalia ; Leimeister, Jan Marco ; Overhage, Sven (Herausgeber): Enzyklopädie der Wirtschaftsinformatik – Online-Lexikon",
  Publisher    = "Berlin : GITO",
  Url    = "https://wi-lex.de/index.php/lexikon/informations-daten-und-wissensmanagement/wissensmanagement/soziales-netzwerk/soziale-netzwerkanalyse/", 
  Note    = "[Online; Stand 25. April 2024]",
}

Soziale Netzwerkanalyse

Ulrike Baumöl, Henrik Ickler


Die soziale Netzwerkanalyse untersucht Beziehungen zwischen Akteuren in einem Netzwerk. Sie ist ein interdisziplinär verwendeter Ansatz, der zur Untersuchung verschiedenster Netzwerke in unterschiedlichen Forschungsdisziplinen verwendet wird.

Allgemein

Die soziale Netzwerkanalyse wird interdisziplinär in den Sozial- und Verhaltenswissenschaften, wie auch in der Betriebswirtschaftslehre oder den Politikwissenschaften angewandt. Sie befasst sich mit Beziehungen zwischen Akteuren, welche z. B. Individuen, Organisationen, Gesellschaften oder ganze Nationen sein können [Wassermann, Faust 1999, S. 3 ff.]. Dabei  werden vielfältige und, je nach Forschungsdisziplin, divergierende Merkmale von sozialen Netzwerken analysiert und anschließend interpretiert. Anstelle der Merkmale einzelner Akteure werden deren Beziehungen untereinander, z. B. Kommunikationsbeziehungen oder Verwandtschafts- und Rollenverhältnisse, in den Vordergrund gestellt, die die kleinste Analyseeinheit darstellen. Das Ziel der sozialen Netzwerkanalyse ist es, Beziehungsmuster zwischen Akteuren aufzudecken und zielführend zu interpretieren [de Nooy et al. 2011, S. 5]. Gegenwärtig werden im Kontext der sozialen Netzwerkanalyse beispielsweise unterschiedliche Communities im World Wide Web (WWW), insbesondere soziale Netzwerke betrachtet. Im Bereich der Organisationstheorie werden z. B. Beziehungen zwischen Mitarbeitern oder mehreren, zusammenhängenden Organisationen und im Bereich der Soziologie z. B. individuelle Verflechtungen über soziale Stände hinweg untersucht.

Geschichte und Entstehung

Die Entstehung der sozialen Netzwerkanalyse wird auf unterschiedliche Entwicklungspfade sowie Forschungsdisziplinen und -felder zurückgeführt. Der Entstehungszeitpunkt ist daher in der Literatur auf unterschiedliche Zeiträume datiert. Als ein Vordenker der sozialen Netzwerkanalyse gilt Georg Simmel, der bereits erstmals Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts versuchte, relationale Merkmale von Beziehungen zwischen Individuen in sozialen Netzwerken zu analysieren. In den 1930er Jahren bildeten sich drei wesentliche Entwicklungslinien heraus. Unter dem Begriff Soziometrie begannen Jacob Moreno und andere in diesem Zeitraum erste graphische Darstellungen, basierend auf der Graphentheorie, zu verwenden. Eine Gruppe von Wissenschaftlern der Harvard Universität erforschte im gleichen Zeitraum persönliche Beziehungsmuster und informelle Gruppenbeziehungen. Als dritte Entwicklungslinie gilt die sogenannte „Manchester-Gruppe“, die aus mehreren britischen Sozialanthropologen bestand. Diese untersuchten, basierend auf den anderen beiden Entwicklungslinien, Strukturen und Beziehungen von Volksstämmen und Gemeinden. Die Entstehung der sozialen Netzwerkanalyse, als ausdifferenzierter methodischer und theoretischer Ansatz, der die unterschiedlichen Entwicklungslinien eint, erfolgte zu Beginn der 1970er Jahre [Jansen 2006, S. 37 ff.; Scott, Carrington 2011, S. 3].

Grundlegende

Begriffe und Eigenschaften Im Bereich der Analyse und Betrachtung sozialer Netzwerke existieren einige grundlegende Begriffe, die für die Diskussion der sozialen Netzwerkanalyse von Bedeutung sind. Diese Begriffe sind Akteur, Beziehungen, Dyade, Triade, Gruppe, Untergruppe, Relation und Netzwerk [Wassermann/Faust 1999, S. 17 ff.].

  • Akteur: Als Akteur werden die zu untersuchenden Knoten des Netzwerkes bezeichnet, deren Beziehungen und Folgen im Rahmen der sozialen Netzwerkanalyse untersucht werden. Mögliche Akteure sind z. B. Menschen in einer Gruppe, Abteilungen einer Organisation oder ganze Staaten.

  • Beziehungen: Die Akteure sind über eine soziale Beziehung miteinander verknüpft, die sich bezüglich ihres Inhaltes, ihrer Intensität oder ihrer Form unterscheiden. Beispiele für Beziehungen sind persönliche Beziehungen (Freundschaft, Respekt usw.), Zugehörigkeit (Vereine, Abteilungen usw.), formale Machtbeziehungen (Autorität, Vorgesetztenverhältnis usw.) oder physikalische Verbindungen (Flüsse, Straßen usw.).

  • Dyade: Eine Dyade ist eine Verbindung oder Beziehung zwischen zwei Akteuren und somit die kleinste mögliche Einheit bei der Analyse sozialer Netzwerke.

  • Triade: Die Triade bildet die Verbindung von drei Akteuren mit allen möglichen Verbindungen und Beziehungen untereinander ab. Sie wird oftmals, wie die Dyade, im Rahmen der Untersuchung eines Gesamtnetzwerkes betrachtet.

  • Gruppe: In einer Gruppe werden alle Akteure zusammengefasst, deren gemeinsame Beziehungen innerhalb eines Gesamtnetzwerkes betrachtet werden sollen.

  • Untergruppe: Eine Teilmenge von Akteuren einesGesamtnetzwerkes und deren Beziehungen können zu Untergruppen zusammengefasstwerden.
  • Relation: Die Sammlung von Beziehungen eines bestimmten Typs, unter Akteuren einer Gruppe, wird als Relation bezeichnet. Ein Beispiel sind Freundschaften einzelner Schüler innerhalb einer Schulklasse.

  • Netzwerk: Der Begriff Netzwerk oder auch Gesamtnetzwerk umfasst alle Akteure, Gruppen und Beziehungen, die als ein Netzwerk definiert bzw. abgegrenzt wurden [vgl. auch Rürup et al. 2015, S. 23].

Im Rahmen der sozialen Netzwerkanalyse existieren einige Maßzahlen und netzwerkanalytische Konzepte. Als Beispiel kann hier „Zentralität“ und die dazugehörigen Konzepte „Betweenness“ und „Nähe“ sowie die „Reichweite“ genannt werden [Jansen 2006, S. 127 ff.]:

  • Zentralität: Die Zentralität zeigt die Prominenz eines Akteurs in einem Netzwerk. Es wird davon ausgegangen, dass ein Akteur mit vielen Beziehungen zu anderen Akteuren prominent ist und eine zentrale Rolle im Netzwerk einnimmt.

  • Betweenness: Die Betweenness (bzw. „Dazwischengehörigkeit“) gibt den Grad an, wie oft sich ein Akteur auf der kürzesten Verbindung zwischen anderen Akteuren befindet. Sie zeigt die Abhängigkeit anderer Akteure von dem betrachteten Akteur an.

  • Nähe: Die Nähe berücksichtigt direkte und indirekte Beziehungen zwischen Akteuren und gibt die Nähe eines Akteurs zu allen anderen Akteuren im Netzwerk wieder.

  • Reichweite: Die Reichweite gibt den Grad an, wie weit Akteure andere Akteure des Netzwerkes erreichen können.

Erhebung von Daten

Für die Analyse sozialer Netzwerke müssen im Vorfeld die relevanten Daten, anhand des Untersuchungsgegenstands, erhoben werden. Als Besonderheit gilt dabei die genaue Abgrenzung und Definition des Netzwerkes. Nur wenn sämtliche relevanten Akteure und deren Beziehungen erfasst sind, kann eine aussagekräftige Analyse erfolgen. Nach der Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes kann mittels verschiedener Erhebungsverfahren eine Datenerfassung stattfinden. Bei kleinen Netzwerken bietet sich z. B. eine Erhebung durch Beobachtung an. Auch können Daten durch eine Sekundäranalyse in Datensammlungen, Archiven oder Handbücher erlangt werden. Ebenfalls ein wichtiges Erhebungsverfahren ist die Befragung von Akteuren in dem Fall, dass es sich um Individuen handelt. Weiterhin existieren Erhebungs- und Abgrenzungsverfahren, die speziell oder vorwiegend bei der sozialen Netzwerkanalyse verwendet werden. Zu nennen sind hier in erster Linie Namensgeneratoren. Durch eine Umfrage mit sogenannten Namensgeneratoren und -interpretatoren sollen umfangreiche Listen von Akteuren generiert werden, die mit einem Akteur verbunden sind [Jansen 2006, S. 69 ff.].

 

Analyse und Darstellung

Für die Analyse sozialer Netzwerke eignen sich Soziogramme, bei denen die mathematische Graphentheorie angewandt werden kann, und Matrizen [Jansen 2006, S. 91 ff.]. Soziogramme stellen Netzwerke grafisch dar. Die Akteure werden in ihnen als Punkte oder Knoten und die Beziehungen zwischen ihnen als Linien dargestellt. Ungerichtete Linien werden als Kanten und gerichtete Linien als Pfeile bezeichnet. Die Anordnung der Punkte ist nicht durch Regeln festgeschrieben, sondern kann beliebig erfolgen. Die Länge der Linie zwischen den Punkten ist für die Analyse unerheblich.

Abb. 1: Soziogramm

Neben dem Sozigramm können Netzwerkdaten auch als Matrix, in einer sogenannten Soziomatrix oder Affiliations-Matrix, dargestellt werden. Die Zeilen wie auch die Spalten präsentieren bei der Soziomatrix die Akteure des Netzwerks, in einer quadratischen Matrix. Eine vorhandene bzw. nicht vorhandene Beziehung oder Relation wird mit 1 oder 0 dargestellt.

Soziomatrix

Abb. 2: Soziomatrix

Bei Affiliations-Matrizen befinden sich die Akteure in der Vorspalte und die Affiliationen in der Kopfzeile. Affiliationen können dabei sowohl Organisationen und Verbände sein, aber auch Ereignisse, wie z. B. Familienfeiern oder Konferenzen. Zugehörigkeiten bzw. Nicht-Zugehörigkeiten werden auch hier mit 1 und 0 symbolisiert.

Affiliations-Matrix

Abb. 3: Affiliations-Matrix

Software

Für die Analyse, Darstellung oder auch Simulation von sozialen Netzwerken existieren verschiedene Softwareprodukte, die es ermöglichen, soziale Netzwerke unterschiedlicher Größe mit unterschiedlichen Zielsetzungen zu untersuchen. Dafür verfügen die meisten Produkte über mathematische und statistische Funktionen, die auf das jeweilige Netzwerk angewandt werden können. Auch sind in der Regel verschiedene Visualisierungsmöglichkeiten vorhanden, um das Netzwerk abzubilden. Für die wissenschaftliche Anwendung sind Pajek, UCINET oder Statnet gängige Softwareprodukte zur Analyse sozialer Netzwerke. Für die praxisnahe, betriebliche Anwendung, beispielsweise um Wissensträger in Organisationen aufzuspüren, können die Software Keyhubs oder NetMiner genannt werden.

Anwendungsgebiete

Die soziale Netzwerkanalyse findet in vielen Bereichen von Wissenschaft und Praxis Anwendung. Gegenwärtig werden vermehrt die im Kontext von Web 2.0 auf Social Software basierenden sozialen Netzwerke und Communities, wie z. B. Xing oder Facebook, untersucht. Dabei wird unter anderem der Versuch unternommen, Zukunftsprognosen zu generieren, die Aufschluss über zukünftige Produkttrends geben können. Vermehrt wird die soziale Netzwerkanalyse auch in Organisationen verwendet, um Wissensträger oder inoffizielle Führungspersonen zu identifizieren. Anwendung findet die soziale Netzwerkanalyse z. B. auch in der Friedensforschung, bei der Untersuchung der Ausbreitung von Innovationen oder Krankheiten sowie bei der Betrachtung von Migrationsbewegungen, was die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten dieser Forschungsmethode untermauert.


Literatur

de Nooy, Wouter;r Mrvar, Andrej; and Batagelj, Vladimir: Exploratory Social Network Analysis withr Pajek. 2. Aufl., Cambridge University Press : Cambridge 2011.

Jansen, Dorothea: Einführung in die Netzwerkanalyse –r Grundlagen, Methoden, Anwendungen. 3. Aufl., VS Verlag : Wiesbaden 2006.

Scott, John;r Carrington, Peter J.: The SAGE Handbook of Social Network Analysis. SAGE Publicationsr : London 2011.

Rürup, Matthias; Röbken, Heinke; Emmerich, Marcus; Dunkake, Imke: Netzwerke im Bildungswesen – Eine Einführung in ihrer Analyse und Gestaltung. Springer: Wiesbaden 2015.

Wassermann,r Stanley; Faust, Katherine: Social Network Analysis – Methods and Applications. Cambridger University Press : Cambridge 1999

 

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